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Pyrenäentour vom 11.07. bis 27.07.08

Diese Radtour beginnt und endet mit je einem Abenteuer, die so schrecklich und unfassbar sind, dass ich hier nur ganz kurz und oberflächlich darauf eingehen möchte. Schließlich lesen hier auch Jugendliche und Kinder mit.

Abenteuer 1: Die Zugfahrt nach Osnabrück.
Im Detmolder Bahnhof, neu renoviert und gestylt, hängt am Fahrkartenautomat ein Schild, dass dieser defekt sei. Man solle den weiteren Automaten, ca. 85 cm daneben, benützen. Okay, vor diesem Automaten steht bereits eine Gruppe verzweifelter Menschen, die versuchen dem Automaten irgendetwas verwertbares zu entlocken. Nun ja, schließlich hat die Deutsche Bahn AG ja auch noch Personal. Ich gehe also zum DB-Kundenservicecenter. Zwei Schalter gibt es dort, einer ist geschlossen. Vor dem anderen steht eine lange Schlange von potentiellen Bahnreisenden. Zwei weitere Schreibtische stehen zwei netten Damen für den Telefonservice zu Verfügung. Da kaum jemand anruft, haben die beiden Zeit sich die immer länger werdende Schlange amüsiert anzuschauen. Währenddessen bearbeitet der Kollege am Service-Schalter in aller Ruhe seinen PC. Nun kommt ein vierter Bahnbediensteter aus einer Tür in den Servicebereich, sieht die Schlange, schüttelt den Kopf und geht wieder.
Kurz darauf kommt er, jetzt mit Jacke an, wieder und verlässt den Raum. Draußen bleibt er noch einmal kurz, erstaunt kopfschüttelnd, vor der diskutierenden Menge am Fahrkartenautomat stehen und verlässt dann den Bahnhof.
Sein Kollege macht derweil in Ruhe (und ich meine wirklich in Ruhe) weiter. Was immer der Mann sich morgens einwirft, es muss ein verdammt guter Stoff sein.

Nachdem einige Wartende in Ohnmacht gefallen sind (einer ist an Altersschwäche zwischenzeitlich gestorben) bekomme ich meine Chance.
Ich darf mir eine Fahrkarte kaufen. Ich bin so dankbar!

Als ich in den Zug und in das Fahrradabteil will, ist dieses bereits rappelvoll. So bleibe ich in der Tür stehen. Der Schaffner kommt und meckert, dass ginge so nicht, usw.
Macht nichts ... ich bin im stoischen Ausharren mittlerweile bestens geübt. Ich reagiere nicht und gucke durch ihn hinduch. Das kennt und versteht er, er motzt noch, dass es Freitags immer so voll sei und geht weg.

Der Rest der Fahrt nach Frankreich mit dem Bus der Firma Natours war vergleichsweise langweilig.
Am 12.07. kommen ich mittags in Creysse, einem kleinen Ort an der Dordogne an. Nach dem Ausladen der Räder mache ich mich auf den Weg in Richtung Pyrenäen. Bis dahin sind es ja noch ca. 250 KM. Da ich quer zu den zahlreichen Flusstälern fahre (Dordogne, Tarn, Lot, etc.) ist es gut hügelig. In La Bastide Murat mache ich Feierabend auf einem städtischen Campinplatz. Preis pro Übernachtung: 3,34 €! Diesen Preis hätte kein deutscher Beamter genauer kalkulieren können. (Vielleicht einer von der Bahn AG)
Am nächsten Tag geht es nach Beaumont de Lomagne und am Montag bis Capverne. Die Landschaft ist bis dahin recht flach bis hügelig. Jede Menge Getreide- , Mais- und Sonnenblumenfelder rechts und links der kaum befahrenen Nebenstraßen. Überhaupt macht die Gegend einen teilweise sehr einsamen Eindruck.
Mittlerweile ist es sehr, sehr heiß geworden, zum Teil bis 39° . Am Dienstag fahre ich nur bis Bagneres de Bigorre, am Fuße des Col de Tourmalet.

Auf den Spuren der Pharmaritter:
Am Mittwoch geht es los. Vollgepackt mache ich mich auf den Weg zum Col de Tourmalet. Leider sind auf der Strecke nicht nur weitere zweihundert Radfahrer pro Tag unterwegs, sondern auch jede Menge PKW und Wohnmobile. Allerdings wird hier sehr rücksichtsvoll gefahren. Radfahrer in Richtung Col haben hier immer Vorfahrt. Überholt wird mit sehr viel seitlichem Abstand und nur wenn frei ist, so dass man ruhig auch mal ein wenig schaukeln darf beim bergaufdrücken. Lediglich ein Wohnmobil, mit deutschem Kennzeichen, drängelt sich doof eng an mir vorbei. Auf dem Asphalt sind die Namen aller halbwegs bekannten Radsportler zu lesen. Die Tour de France war ja auch gerade vor zwei Tagen erst hier. Sogar Zabel lese ich, obwohl der ja nun kein ausgesprochener Bergspezialist ist. So langsam merke ich, dass ich das auch nicht bin. Aber irgendwann hab auch ich es geschafft und kann mir oben am Col (2014m) meine Gipfelcola kaufen, die Dose für 2,50 €.
Geschafft, was bin ich doch für ne coole Sau!

Ach ja, oben treffe ich noch das deutsche Wohnmobil wieder, das so schnittig an mir vorbei ist. Ich frag den Fahrer ob das denn nötig gewesen sei (so oder ähnlich hab ich mich, glaube ich, ausgedrückt). Als Antwort erhalte ich einen Vortrag über den Abstand (60 cm oder so), den ich als Radfahrer vom rechten äußeren Fahrbahnrand bis zum Reifen (ich denke mal er meinte Mitte Reifen) einzuhalten hab. Nach gefühlten 2 Stunden unterbreche ich den Vortrag und frage den Fahrer des Womos nach seinem Beruf.

Achtung: Bike-Sport-Lippe-Preisrätsel!
Wer den Beruf errät schickt das Lösungswort bitte an diese Email. Unter den richtigen Einsendungen ziehen wir einen Gewinner. Dieser erhält drei Glieder eines Gliedermaßstabes (ca. 60 cm), umgangssprachlich auch Zollstock genannt, zum sicheren und kontrollierten Befahren von Passstraßen.

 

Danach geht es runter nach St. Luz. Das ist mir aber viel zu touristisch, lauter Cafes, Kneipen, Rummelplatz inclusive. Also biege ich ab in Richtung Gavarnie. Kurz hinter St. Luz finde ich einen schönen Campingplatz auf einem Bauernhof. Nebenan wird „Gateau de Broche“ am offenen Feuer gebacken. Das ist so eine Art Kuchen am Spieß. Super lecker, vor allem mit Cidre, der dazu serviert wird.
Im Zelt denke ich über den Tag nach. Der Col de Tourmalet ist schön, keine Frage. Aber nochmal fahren? Es gibt nur einen Grund den Col de Tourmalet zu fahren: Weil es der Col de Tourmalet ist! Es gibt schönere, steilere, höhere und ruhigere Pässe. Nochmal würde ich ihn nicht fahren ... naja vielleicht mal ohne Gepäck.

Am Donnerstag geht es weiter nach Gavarnie, ich will versuchen nach Spanien rüber zu kommen. Der Tag beginnt mit Nieselregen, die Wolken liegen auf. Irgendwann hört der Regen auf, aber mehr oder weniger bleiben die Wolken. Gavarnie ist ebenfalls ein Touri-Ort mit großem Busparkplatz. Ich fahre weiter zur Porte de Bujaruelo, also Richtung Spanien. Jetzt wird es richtig hart. Der Weg wird immer steiler und mit jeder Serpentine wird die Sicht schlechter. Irgendwann bin ich in den Wolken, die Sicht beträgt knapp 10 bis 15 Meter. Die Ziegen haben es sich auf dem Weg bequem gemacht und sind doch sehr erstaunt, was ich hier zu suchen hab. Weiter geht es. Irgendwann taucht aus dem Nebel ein Radfahrer auf und ruft mir irgendwas von Col und Soleil zu. Das lässt hoffen. Und plötzlich hab ich es geschafft, ich bin über den Wolken. Wahnsinn! Super Aussicht! Toll! Ich bin happy. An der Porte de Bujaruelo (2257m) endet der Weg in einem Geröllfeld. Hmm, das hatte ich mir anders vorgestellt. Einen jungen spanischen Wanderer frage ich nach den Möglichkeiten dort mit meinem vollgepackten MTB heile runterzukommen. Ich glaube zu verstehen, dass er sagt, dass es schwierig, aber für einen geübten Fahrer wie mich möglich ist. Also los. Von den nun folgenden 5 KM bin ich ca. 500 Meter gefahren, den Rest habe ich versucht meine Fahrrad und mich am Absturz zu hindern. Vier Stunden später, mittlerweile zeigt das Thermometer wieder 39°C bin ich unten und total am Ende. Ich überlege, ob der Spanier nicht doch gemeint hat, ich hätte einen Vogel. Mein Spanisch ist aber auch sehr schlecht.
Kaum habe ich diese Passage hinter mir lande ich am Refugio de Bujaruelo. Ich baue mein Zelt auf und gehe ins Refugio. Erst mal ein Cerveza grande, das praktisch schon in meiner Kehle verdampft. Also bestelle ich noch eins. Ich sehe wohl sehr durstig aus, denn bald frag mich das Mädel hinter der Theke mit einem bezaubernden Lächeln: „Una mas?“ Ja klar ... endlich die versteht mich.

Am nächsten Morgen trinke ich noch einen Cafe con Leche im Refugio, schade das Mädel, das mich so gut verstanden hat, ist nicht da. Also fahre ich unverstanden weiter. Die Gegend ist toll, mache oft Fotostops. Hier auf der spanischen Seite gibt es jede Menge Sportmöglichkeiten. Dank der zahlreichen Gebirgsbäche -flüsse gibt es hier in vielen Orten Sportstationen, die Rafting, Kanu, Hydrospeed, aber auch Trekking, Paragliden, Klettern, etc anbieten. Ausländische Touristen gibt es hier kaum. Reines Wochenendgeschäft.
Mittlerweile fahre ich ich auf einer super ausgebauten Schellstraße. Wegen der vielen Steigungen dreispurig, immer bergauf mit zwei Spuren, rechts für die langsamen Fahrzeuge, links Mindestgeschwindigkeit 70 KM/h. Also bleibe ich rechts, logo, und habe die gesamte Spur für mich allein. Ich kann Zickzack fahren und schlenkern so viel ich will. Kein Spanier, der will, dass seine Mutter wenigstens ein bisschen stolz auf ihn ist, würde jemals diese rechte Spur benutzen und zugeben, dass sein Auto keine 70 Sachen schafft.
Am Abend lande ich in Campo, einem Ort mit ähnlich hohem touritischem Wert wie, sagen wir mal, Großenmarpe. Bis zum Dunkelwerden verbringe ich den Abend in der einzigen Dorfkneipe, trinke Bier und esse Fettiges. Da ich an dem einzigen Tisch sitze, an dem noch ein paar Stühle frei sind, setzen sich irgendwann noch 5 ältere, dafür um so lauter schnatternde Damen zu mir. Vielleicht kamen sie gerade von ihrem Bridgeabend ... gibt es sowas in Spanien? Egal, sofort entsteht zwischen uns eine angeregte Unterhaltung, von der ich kein einziges Wort verstehe. Obwohl ich meine, nach dem dritten Serveza schon flüssiger zu sprechen.
Irgendwann stehe ich auf und verabschiede mich mit den Worten: "Gute Nacht ihr Prinzessinnen von Aragon, ihr Königinnen von Campo!" und gehe. Das Gespräch verstummt am Tisch und die Mädels schauen mir traurig nach ... glaub ich.

Danach suche ich mir irgendwo einen schönen Platz am Fluss.

In den nächsten Tagen geht es immer so weiter, ein ständiges auf und ab. Ein Tal ist schöner als das andere, jeder Pass bietet wieder traumhafte Aussichten, steile Anfahrten und super schöne Abfahrten. Ich liebe die Pyrenäen.

Am 22.07. will ich wieder über den Hauptkamm der Pyrenäen zurück nach Frankreich. Da ich keinen Pass mit Tunnel oben befahren will, entscheide ich mich für die Port de la Bonaigua (2072m). Das Valle d'Aneu ist wunderschön, leider ist die Straße eine einzige Baustelle. Oben angekommen gönne ich mir wieder meine Gipfelcola und einen Cafe con leche.
Danach geht es durch das Valle de Aran, traumhaft schön, 25 KM ohne treten bergab.
Am späten Nachmittag versuche ich noch, aus Versehen, den Col de Mente zu überqueren. Ich muss aber bald einsehen, dass Steigungen bis zu 18% mit einem vollgepackten MTB verdammt schwer zu fahren sind. Also gebe ich auf ... ja richtig gelesen: Ich gebe auf und drehe um. (Und ich möchte auch nicht in Zukunft darauf angesprochen werden.) Da mir St.Beat nicht gefällt fahre ich weiter und finde in einem Ort, mit der touristischen Bedeutung wie etwa Hestrup, eine Kneipe. Zwei leicht freakige Mädels, die 70er Jahre lassen grüßen, betreiben den Laden. Zum Bier esse ich diesmal ein Entrecote, das ist rohes, heißes Fleisch. Mit Salat, ich lebe ja gesund.

Eine Besonderheit der südfranzösischen Campingplätze sind die Toiletten- und Waschhäuser. Sie sind, zumindest sehr oft, nicht nach Geschlechtern getrennt und insgesamt sehr offen gehalten. Da die Türen also meist 25 cm über dem Boden enden, erhält man zumindest einen Überblick über die angesagte Campingplatz-Schuhmode.
Nun ist ja so ein Tag auf dem Rad recht lang. Bei der Hitze heißt es dann reichlich trinken, das sind dann am Abend so etwa 3 Liter Wasser, 2 Liter Cola, 2 Cafe au Lait, dazu ein halbes Kilo Weintrauben, 2 Pfirsiche und 2 Croissantes und das "ich bin am Ziel Bier".
Mit dieser explosiven Mischung im Bauch suche ich also eines Abends die Toiletten auf.
Ahhhrrrgg, erst noch das Toilettenpapier aus der Tiefe der Packtasche finden, das gibt es hier nämlich nicht. Dann los und zwar schnell. Ein kurzer Blick auf den Flip Flop Dress-Code offenbart noch zwei freie Toiletten nebeneinander in einer langen, ansonsten stark frequentierten Reihe.
Ich bin keine 2 Meter mehr von der Tür entfernt (endlich), da nehme ich im Augenwinkel, rechts neben mir, etwas hellblaues wahr. Egal es sind noch zwei Kabinen frei, ein Aufschub wäre auch fatal. Mit der Hand auf der Türklinke, keiner kann sie mir jetzt noch nehmen, schaue nicht nach rechts auf das Hellblau, das da auf die Tür neben mir zu schwebt. Ja schwebt, es ist ein hellblaues, enges Minikleid, unten zwei wunderbare, gebräunte Beine. Oben ein strahlendes Lächeln, eingerahmt von langen blonden Haaren. Für Sekundenbruchteile lächle ich zurück, dann schließen sich unsere Türen. Und......
Aus irgendwie unerklärlichen Gründen ist nun auf dem gesamten Campingplatz Ruhe eingekehrt, kein Kindergeschrei mehr im Waschhaus, nirgendwo mehr Musik, alles schweigt, ja sogar die Vögel haben aufgehört zu singen. Kein verdammtes Geräusch mehr, nichts! Während ich nach rechts und links lausche, nichts, rein gar nichts, versuche ich nicht mit einem lauten Knall zu platzen.
Anderseits es ist doch ganz natürlich ... eigentlich oder doch sehr peinlich? Mittlerweile bilden sich Schweißperlen auf meiner Stirn, es ist egal, ich lass den Dingen jetzt freien Lauf, sollen doch alle denken ich wäre explodiert. Anderseits dieser Traum in hellblau ... ich versuche noch abzuwarten. Ich atme nun ganz flach, jetzt bloß nicht hyperventilieren.
Irgendwann endlich, als ich, von starken Krämpfen geschüttelt, kurz vor der Ohnmacht stehe höre ich neben mir die Toilettenspülung und dann die Tür. Hellblau geht. Endlich.
Nachdem es dunkel geworden ist, verlasse ich verschämt die Toilette.

In den nächsten Tagen geht es nun wieder über Beaumont de Lomagne und Cahors zurück nach Creysse. Dort erkunde ich am letzten Tag noch die sehr schöne Dordogne und das wunderschöne, aber überlaufene Rocamadour.

Insgesamt liegen nun fast 1.300 Km hinter mir. Tolle Erlebnisse. Ich habe Adler gesehen und Murmeltiere, Geier und Biber, verschwitzte Wanderer und hektische Passanten in den Städten, verblockte Trails und 4-spurige Schnellstraßen (war ein Versehen), Baguette und Salami am Zelt und Cafe au Lait im Straßencafe. Viel Gegensätzliches, Ruhe und Anstrengung. Kurz gesagt: es war wunderschön.

Am Samstag um 22:30 Uhr startet der Bus in Creysse und ich bin am Sonntag um 13:30 Uhr in Dortmund. Um 13:40 Uhr betrete ich den Dortmunder Hauptbahnhof und das 2. Abenteuer beginnt.

Nur soviel sei verraten: Der Zug war noch voller und der Schaffner noch schlechter gelaunt. Sonntags sei es immer so voll!
Aber er hatte eine Uniform an und eine Trillerpfeife. Ich glaube, das gab ihm Halt.

Mich kann er nicht meinen, in Gedanken bin ich noch in den Pyrenäen.

Dieter

 

Viel mehr Fotos gibt es in meinem Webalbum.